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Aus der Anlage aussteigen - wann ist der optimale Zeitpunkt dafür?

Einmal erhielt ich ein WhatsApp von meinem Sohn: «Mom, kann ich dir meine Bitcoin für den Verkauf schicken?». Er hatte beim Kurs von ca. 63'000 Franken genug, und wollte den Gewinn mitnehmen. Das Geld wurde wohl für etwas anderes gebraucht. Ich wollte mich nicht unbeliebt machen, da habe ich lieber nicht gefragt. Die Bitcoins gingen also vom Hardwallet an Mom, die dann verkauft und über Twint überwiesen hat.

Beim Investieren liest und spricht man oft über den bestmöglichen Zeitpunkt für den Einstieg (gibt es nicht wirklich), Einmalanlage oder gestaffeltes Anlegen, um einen Durchschnittspreiseffekt zu erzielen, und dass ein langer Zeithorizont sinnvoll ist. Aber wann genau ist der richtige Moment für einen Ausstieg? Hier sind einige Gedanken und Ideen, die dir helfen können, dies für dich und deine Anlagen besser zu bestimmen.

Wieso überhaupt aus der Anlage aussteigen?

Vereinfacht gibt es drei Szenarien, die dich zu einem Ausstieg aus deinen Anlagen motivieren könnten: 

  1. Du hast ein vorher gesetztes Ziel erreicht: Z.B. ist dein Geld auf einen bestimmten Betrag angewachsen oder der vorher festgesetzte Zeitpunkt ist gekommen und du benötigst das Geld.
  2. Verkauf aus der Position der Stärke: Die Anlage rentiert sehr gut und du möchtest die Gewinne auf sicher mitnehmen.
  3. Verkauf aus der Position der Schwäche: Die Anlage rentiert nur mittelmässig oder macht sogar Verluste, du benötigst das Geld oder die Anlage ist zu teuer und du willst wechseln.

Je nach Grund und Ziel wird dein Ausstieg also anders aussehen.

So gelingt dir ein erfolgreicher Ausstieg

Je besser der Einstieg, desto leichter der Ausstieg

Schau dir deine Anlagestrategie als Ganzes an. Idealerweise setzt du dir bereits beim Start deiner Investition klare Ziele: Ist deine Anlage spekulativ, möchtest du schnell Gewinne realisieren, oder dient sie dem langfristigen Vermögensaufbau? Möchtest du einen bestimmten Betrag erreichen? Oder benötigst du das Geld zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. für eine Reise, ein Wohneigentum oder den Ruhestand? All diese Punkte helfen dir nicht nur beim Einstieg und der Strategie, sondern geben dir auch klare Signale für den Ausstieg.

Wenn du dir bei der Anlage ursprünglich kein Ziel gesetzt hast, dann hilft es, dir vor dem möglichen Ausstieg klarzumachen, warum du investiert hast und zu hinterfragen, warum du gerade jetzt aussteigen möchtest, um emotionale Entscheidungen möglichst zu verhindern. 

Die Vorbereitung zählt

Wenn du deine Anlage auf einen bestimmten Zeitpunkt hin auflösen möchtest, z.B. weil du das Geld benötigst, oder einen bestimmten Betrag erreicht hast, dann hast du idealerweise noch etwas Zeit, um deinen Ausstieg entsprechend vorzubereiten. Mögliche Punkte, die du dabei beachten solltest:

  • Von risikoreichen Anlageklassen in solche mit weniger Risiko umschichten, z.B. den Aktienanteil reduzieren
  • Steuerliche Aspekte abklären, dies ist vor allem beim Bezug der Vorsorgegelder enorm wichtig
  • Kosten des Ausstiegs prüfen und berechnen, z.B. belastet dir ein Fonds Gebühren beim Verkauf?
  • Entnahmestrategie festlegen: Möchtest du das Geld komplett entnehmen oder gestaffelte, z.B. monatliche Entnahmen machen und den Rest investiert lassen? Bei gestaffelten Entnahmen kann es sich, je nach Anlagebetrag, lohnen, deine Strategie mit einer Simulation professionell berechnen lassen zu lassen, da du bei der Entnahmephase den Marktschwankungen und dem sogenannten Sequence-of-Returns-Risiko ausgesetzt bist: Der Zeitpunkt der Entnahme kann den Gesamterfolg deines Portfolios empfindlich beeinflussen. Simulationen zufolge hängen über 50 % des Portfolio-Erfolgs allein von den ersten fünf Jahren der Entnahmen ab (vergleiche dazu diesen Artikel). Dieses Risiko kannst du z.B. mit flexiblen Entnahmen entsprechend mindern.

Im Internet und verschiedenen Foren wird für gestaffelte Entnahmen oft die sogenannte 4%-Regel empfohlen. Diese geht auf eine Trinity-Studie zurück und legt dar, dass aus einem vielfältigen Aktienportfolio jährlich 4 Prozent des ursprünglichen Werts über 30 Jahre hinweg entnommen werden können, wobei das Risiko, das Vermögen vorzeitig komplett aufzubrauchen, sehr niedrig bleibt. Allerdings ist diese Faustregel mit grosser Vorsicht zu geniessen - Kritiker und weitere Berechnungen haben gezeigt, dass die optimale Entnahmerate tiefer, also eher bei 2.5 bis 3.5 Prozent liegt. Weitere Details und Berechnung in diesem Artikel.

Renditen und Kosten vergleichen

Wie schlägt sich deine Investition im Vergleich zu ähnlichen Anlagen oder Benchmarks? Vergleiche deine Rendite regelmässig, z.B. einmal im Jahr. Wenn du feststellst, dass deine Anlage dauerhaft schlechter abschneidet als z.B. Martkindizes wie der MSCI World könnte das ein Hinweis darauf sein, dass es Zeit ist, sie zu überdenken und einen Wechsel vorzunehmen.

Das gleiche wie für die Rendite gilt für den Kostenvergleich. Schaue einmal im Jahr an, was dich deine Anlagen wirklich kosten und ob du Möglichkeiten zur Optimierung hättest. Auch kleine Prozentsätze können deine Rendite über die Zeit hinweg empfindlich schmälern.

Eine der häufigsten Herausforderungen besteht darin, nicht auf Losern oder zu teuren Anlagen sitzen zu bleiben in der Hoffnung, dass sich diese vielleicht in der Zukunft wieder einmal erholen oder die Rendite die zu hohen Kosten ausgleicht. 

Selbstverständlich ist es schmerzhaft, einen Verlust nicht nur «fiktiv» hinzunehmen, sondern auch wirklich zu materialisieren, aber dir können während dem Warten auch Opportunitätskosten entstehen. Illustrativ betrachtet: Während du geduldig wartest, bis sich deine Anlage z.B. um 5 Prozent erholt hat, hat der gesamte Markt 15 Prozent vorwärts gemacht. Eine Möglichkeit hier sind Teilverkäufe, bei denen du die Position reduzierst, aber nicht vollständig liquidierst. So reduzierst du dein Risiko noch grösserer Verluste falls z.B. die Aktie weiter fallen sollte, hast frei gewordenes Kapital und immer noch eine Chance, bei einer etwaigen Erholung deinen jetzigen Verlust zu begrenzen. 

Das gleiche Prinzip der Teilverkäufe funktioniert übrigens auch, wenn deine Anlage super läuft und du deine Gewinne ins Trockene bringen möchtest. Mit einem Teilverkauf sicherst du dich ab und hast trotzdem noch die Chance, bei weiterem Wachstum dabei zu sein.

Lass dich nicht von deinen Emotionen leiten

Es gibt zig Analysemöglichkeiten, Charts und verschiedene Regeln, die du für deine Anlagen anwenden könntest. Wichtig ist jedoch zu verstehen, dass Emotionen eine der Hauptursachen für Anlagefehler sind und ganze Märkte bewegen können. Wenn du dir ein klares Ziel gesetzt hast, dann hilft dir dies dabei, deine Emotionen in Schach zu halten und dich nicht von zu vielen News, aber auch Angst und Gier beeinflussen zu lassen. 

Ein Notgroschen, auf den du im Fall der Fälle zurückgreifen könntest, hilft dir, ungewollte Verluste zu vermeiden, weil du im Notfall deine Anlagen nicht zu einem vielleicht ungünstigen Zeitpunkt in der Not verkaufen musst, sondern dir die Flexibilität bewahrst, deinen Ausstieg entsprechend zu planen.

Für alle, die häufiger mit Aktien handeln, ist ein konsequent eingehaltener Stop-Loss essenziell, um zu grossen Verlusten zu widerstehen. Anstatt grosser Chart-Analysen hilft es, sich mit den Firmen und den Branchen zu beschäftigen, um die Finanzinformation besser einordnen zu können.

Den idealen Zeitpunkt zum Ausstieg gibt es, ähnlich wie beim Einstieg, eigentlich nicht und hängt von vielen Faktoren ab, darunter dem Marktumfeld und deiner Risikobereitschaft. Indem du dir klare Ziele setzt, deine Anlagen regelmässig überprüfst und rational bleibst, verbesserst du deine Chancen, im für dich richtigen Moment auszusteigen. Ich für mich mache es dann so, dass ich auch nicht mehr zurückschaue, ob jetzt vielleicht noch mehr drin gewesen wäre - nur um mich danach wieder zu ärgern. Das Einzige, was sicher ist: Es gibt immer wieder neue Chancen und für mich ist öfters der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach.

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